Apothekenreform: Schreiben der ABDA-Präsidentin an die Kammern und Verbände

An die
Präsidentinnen und Präsidenten der Apothekerkammern
Vorsitzenden der Apothekerverbände/-vereine
Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Apothekerkammer und Apothekerverbände/-vereine

Berlin, 14. Juni 2024

Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

mit Bestürzung haben wir am Mittwoch den Referentenentwurf zur Apothekenreform aus dem Bundesgesundheitsministerium zur Kenntnis genommen. Wieder einmal hat Minister Karl Lauterbach den Weg über die Medien gewählt – der ABDA wurde das Papier (Stand 13. Juni) bislang nicht offiziell zugestellt. Wie der weitere Zeitplan des kommenden Gesetzgebungsverfahrens sein wird, ist also noch nicht bekannt.
 
Was wir aber nun endlich mit letzter Sicherheit wissen, ist, dass der rote Faden des Entwurfs die unbedingte Liberalisierung der Arzneimittelversorgung ist. Dadurch wird unser bewährtes System der Arzneimittelversorgung durch die wohnortnahen heilberuflich geführten Apotheken ausgehöhlt und dem Großkapital zur Übernahme ausgeliefert. Wenn man das Liberalisieren so verpackt, wie hier in diesem Entwurf, kann man nur von Verschleierung, von einer Mogelpackung, ja sogar von einer gezielten Blendung sprechen. Der vorliegende Referentenentwurf aus dem BMG wird die heilberuflich geführte vollversorgende Apotheke vor Ort zerstören. Für unsere Patientinnen und Patienten bedeutet das eine Versorgung ohne approbiertes Fachpersonal über abgespeckte Medikamenten-Abgabestellen, Zweigapotheken sowie Scheinapotheken. Ganz egal, ob es um städtische oder ländliche Regionen geht: Für die Patientinnen und Patienten bedeuten diese Pläne nicht nur Leistungskürzungen und Qualitätseinbußen, sondern ganz konkrete Gefahren. Leistungen wie die BtM-Abgabe, Medikationsanalysen, Impfungen und Rezepturen werden nach diesen Plänen aus der Fläche verschwinden. Die ohnehin sehr fragile Einnahmetreue der Menschen wird sich dadurch deutlich verschlechtern und mit hoher Krankheitslast und hohen Kosten zu Buche schlagen.
     
In Summe sind diese Pläne für uns als Berufsstand ein absoluter Tabubruch: Der Verzicht auf eine approbierte Filialleitung und der Verzicht auf die gesetzlich gesicherte Präsenz eines Apothekers oder einer Apothekerin setzt die berufliche Zukunft von zehntausenden Kolleginnen und Kollegen aufs Spiel. Die politische Botschaft an uns lautet: „Ihr werdet für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht mehr gebraucht!“ Es ist unfassbar, dass ein sozialdemokratisch geführtes BMG die Qualität der Versorgung der Bevölkerung abbauen will und massive Kündigungswellen als Einsparpotentiale anpreist.  
 
Auch die chronische Unterfinanzierung des gesamten Apothekenmarktes wird in diesem Entwurf nicht angepackt. Die vorgesehene Umverteilung des Apothekenhonorars wird keiner Apotheke helfen. Dass durch diese Honorar-Pläne insbesondere ländliche Apotheken profitieren, ist nur eine von vielen Falschaussagen, die vom BMG verbreitet werden, um den Reformplänen einen positiven Anstrich zu geben.  
 
Enttäuschend ist der Umgang mit den Großhandelsskonti. Statt diese schnellstmöglich über eine Klarstellung in der AMPreisVO wieder zu erlauben, soll eine Lösung erst im Zusammenhang mit dem langwierigen Gesetzesvorhaben herbeigeführt werden. Dieser Umgang mit der SkontiProblematik zeugt von einem kolossalen Unverständnis der Dringlichkeit und kann nur als Verzögerungstaktik gewertet werden.
 
Direkt gestern, zwanzig Stunden nach der Bekanntgabe des Entwurfs über die FAZ, sind wir in der ABDA zu einer ersten Analyse zusammengekommen. Das Ergebnis der Diskussion ist eindeutig: Wir lehnen den Entwurf in der vorliegenden Form kategorisch ab. Ein Gesetz, das den Berufsstand des Apothekers und der Apothekerin abschafft und durch neue auf Kommerz ausgerichtete Strukturen ersetzen will, wird von uns in aller Härte bekämpft. Alle Passagen, die zur Zerstörung der heilberuflich geführten Apotheke vor Ort führen, müssen aus dem Entwurf gestrichen werden, bevor wir in einen inhaltlichen Diskurs über die Zukunft der Apotheke einsteigen können.  
 
Dass Minister Lauterbach am gestrigen Donnerstag in einer Pressekonferenz am Rande der Gesundheitsministerkonferenz bekundete, dass er die inhabergeführte Apotheke vor Ort stärken will, um große Versandkonzerne aus dem Markt zu halten, erscheint vor diesem Hintergrund zynisch und ist unehrlich. Es ist auch eine Ohrfeige für die 160.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Apotheken.  

Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

viele von Ihnen fragen sich nun zurecht, wie es weitergeht nach diesen niederschmetternden Neuigkeiten. Obwohl wir noch nicht offiziell zu einer Stellungnahme aufgefordert wurden, bereiten wir diese Stellungnahme bereits vor und werden sie zeitnah ans BMG übermitteln. Unser Ziel ist klar: Diese apothekenfeindlichen Pläne müssen demaskiert, müssen entlarvt und die Wahrheiten über die Folgen für die Patientinnen und Patienten offen benannt werden. Nach Bekanntwerden des Entwurfes habe ich sofort Gespräche mit einigen Abgeordneten aus dem Gesundheitsausschuss des Bundestages geführt und unsere Position klargestellt. Sowohl aus der SPD als auch aus der FDP wurde klar signalisiert, dass man apothekerlose Apotheken nicht zulassen wolle.  
 
Schon am gestrigen Nachmittag hat sich die Gesundheitsministerkonferenz mehr als deutlich zu den Vorschlägen des BMG positioniert: „Die persönliche, fachkundige Medikationsberatung durch approbierte Apothekerinnen und Apotheker trägt wesentlich zur Therapietreue, zur Anwendungssicherheit und damit zum Therapieerfolg bei. Sie leistet einen wertvollen Beitrag bei der angespannten Arzneimittelversorgungslage", heißt es in dem Beschluss der Länder. Die Ministerinnen und Minister ermahnen die Bundesregierung, dass schnellstmöglich die "erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen" seien, um noch vorhandene Apotheken in ihren Strukturen zu stärken und wirtschaftlich zu stabilisieren.
 
In den kommenden Tagen wird der Gesamtvorstand der ABDA zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen. Ganz unabhängig von der inhaltlichen Analyse des Entwurfes werden wir uns dann mit der Frage beschäftigen, wie wir unsere Positionen und Forderungen in der Politik und in der Öffentlichkeit kommunizieren. Pläne und Ideen dazu liegen vor und müssen zielgerichtet und zum richtigen Zeitpunkt umgesetzt werden. Einheitlichkeit und Klarheit in den Aussagen sind in dieser Phase ebenso entscheidend wie Zusammenhalt und Geschlossenheit in der Handlung.  
 
Von besonderer Bedeutung ist die breite Darstellung der Probleme in der Bevölkerung und in der regionalen Politik. Nutzen Sie Ihre Kundenkontakte dazu, um darüber aufzuklären, was das Gesetzesvorhaben wirklich beinhaltet und welche Konsequenzen dies für die Versorgung jedes Bürgers und jeder Bürgerin hätte. Schon den Tag der Apotheke haben wir gemeinsam genutzt, unsere Anliegen in Politik-Gesprächen zu platzieren. Diese Kontakte müssen wir weiter intensivieren.  
 
In Kürze werden wir Sie mit genaueren Fakten und Materialien für diese weiterführenden Gespräche unterstützen. Bleiben Sie am Ball!  
 
Herzliche Grüße

Ihre

Gabriele Regina Overwiening