Risiken der Polymedikation müssen dringend angegangen werden
Wenn Patienten dauerhaft viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, steigt ihr Risiko für arzneimittelbezogene Probleme stark an. Bei älteren Menschen sind bis zu 30 Prozent der Krankenhauseinweisungen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen. Meist stehen sie in Zusammenhang mit einer Polymedikation, also der dauerhaften Einnahme von fünf oder mehr Arzneimitteln. Polymedikation ist häufig: 7,6 Millionen Bundesbürger ab 65 Jahren nehmen täglich fünf oder mehr Arzneimittel ein. In der Altersgruppe zwischen 75 und 80 Jahren braucht jeder Dritte sogar mehr als acht Medikamente.
„Wir haben bei polymedikamentierten Patienten echte Versorgungslücken. Teilweise bleiben Wechselwirkungen zwischen ihren Medikamenten unentdeckt, auch weil längst nicht alle einen Medikationsplan haben. Und wenn sie einen haben, ist er oft weder vollständig noch korrekt. Vielfach stimmt der Plan nicht mit dem überein, was der Patient aktuell einnimmt. Es ist höchste Zeit, dass das Problem angegangen wird“, warnt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.
Bei einer Untersuchung in Münster, die 500 Patienten mit Medikationsplan umfasste, entsprachen nur 6,5 % der allein vom Arzt erstellten Medikationspläne der tatsächlichen Einnahmepraxis. Gründe für die Diskrepanzen sind unter anderem, dass die Namen verordneter Präparate oft nicht mit den aufgrund der Rabattverträge in der GKV abzugebenden Präparaten übereinstimmen. Teilweise werden Arzneimittel aufgeführt, die der Patient gar nicht mehr nimmt, oder es fehlen verschreibungsfreie Arzneimittel, die der Patient sich unabhängig vom Arzt besorgt.
Die Apotheke, so Overwiening, sei oft die einzige Instanz, die einen vollständigen Überblick über die aktuelle Selbstmedikation eines Patienten habe. „Aber die vollständige Medikation des Patienten zu erfassen und auf Risiken zu überprüfen, ist aufwändig und geht weit über das ‚normale‘ Beratungsgespräch mit dem Patienten hinaus. Das ist nur machbar, wenn wir entsprechende pharmazeutische Dienstleistungen mit den Krankenkassen aushandeln können. Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz sieht solche Leistungen ab 2022 für die Versicherten vor. Ich hoffe, die Kassen ziehen im Interesse einer besseren Versorgung mit.“