„Wir müssen die Versorgung im ländlichen Raum sichern“
Keine Fiebersäfte für die Kinder, keine Zäpfchen, keine Antibiotika und keine Nasensprays – massive Lieferengpässe bei Arzneimitteln haben in der vergangenen Erkältungssaison Eltern, Kinder und Apothekenteams stark belastet. Und der kommende Winter wird vermutlich nicht viel besser. Da kann Apothekerin Manuela Schier der Bundestagsabgeordneten Schahina Gambir wenig Hoffnung machen. Die Grünen-Politikerin, Mitglied im Familienausschuss, ist in die Mindener Kuhlenkamp-Apotheke gekommen, um sich ein Bild davon zu machen, wie es um die Arzneimittelversorgung der Kinder derzeit steht.
Manuela Schier zieht die Schubladen der Arzneimittelschränke auf, zeigt die Lücken zwischen den Packungen und die weißen Platzhalter-Kärtchen: „Nicht erhältlich“. Mancher dieser Zettel steht dort bereits seit einem Jahr, wie der Datumsvermerk darauf zeigt. Und so schnell werden die Kärtchen auch nicht aus den Schubladen verschwinden: „Die Engpässe werden weiter bestehen“, so Manuela Schier.
Die Regelungen, die die Bundesregierung getroffen habe, seien nicht geeignet, die Engpässe nachhaltig zu bekämpfen, also die Produktion zurück nach Europa zu holen und die Arzneimittellieferungen in das Billigland Deutschland zu lenken. „Zugleich ist es der Bundespolitik nicht gelungen, den Apotheken ausreichende und unbürokratische Handlungsspielräume zu geben, die sie brauchen, um die Patienten im Falle von Lieferengpässen versorgen zu können“, kritisiert Manuela Schier, Vorsitzende der Bezirksgruppe Minden-Lübbecke im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL).
Während die Probleme also groß bleiben, wird die Zahl der Apotheken vor Ort, die sie lösen können, immer kleiner. Rund 600 schließen in diesem Jahr bundesweit – und der Trend wird sich beschleunigen. Gerade im ländlichen Raum befürchtet Manuela Schier, dass sich die Versorgung der Menschen verschlechtern wird, wenn das Bundesgesundheitsministerium seine angekündigten Pläne für eine Apothekenreform tatsächlich umsetzt. Dann werde es auf dem Land nur noch wenige Apotheken geben, die Nacht- und Notdienste leisteten und die selbst Arzneimittel anfertigten wie Fiebersäfte oder individuell produzierte Salben. „Die Patienten müssen dann weitere Wege auf sich nehmen“, so Manuela Schier. „Die Ideen des Ministers sind für die Gesundheitsversorgung der Menschen brandgefährlich.“
Und selbst wenn die Reform nicht kommen sollte: „Auch dann wird die Zahl der Apotheken weiter zurückgehen, weil die staatlich geregelte Honorierung nicht mehr auskömmlich ist“, sagt Manuela Schier. In den vergangenen 20 Jahren sei die Vergütung nur ein einziges Mal geringfügig erhöht und zu Beginn dieses Jahres sogar gekürzt worden – trotz steigender Kosten und hoher Inflation. „Ein Drittel der Apotheken vor Ort ist mittlerweile wirtschaftlich gefährdet“, warnt Schier. „Am 15. November werden wir daher erneut gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung protestieren und die Apotheken schließen, um uns einer Demonstration in Dortmund anzuschließen“, so Schier. Auch die Hausärzte beteiligten sich an dieser Protestaktion.
„Die Versorgung im ländlichen Raum muss gesichert und gestärkt werden", ist auch Schahina Gambir überzeugt. Die 32-jährige hält die Apotheke als niedrigschwellige Anlaufstelle für viele, auch gerade jüngere Menschen für wichtig: Wer beruflich viel unterwegs sei und kurzfristig Rat oder Hilfe brauche, wisse, „dass die nächste Apotheke nicht weit weg ist und ein verlässlicher Ort für unkomplizierte und kompetente Beratung ist.“
Quelle: Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V., 10.11.2023