Interview über Digitalisierung und Impfangebote
ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hat mit Hajo Zenker von der „Neuen Berliner Redaktionsgemeinschaft“ über die Digitalisierung, Impf-Angebote und Lieferengpässe gesprochen. Von der Redaktion werden zum Beispiel die „Heidenheimer Zeitung oder die „Märkischer Oderzeitung“ mit Artikeln beliefert. Das Interview ist am 19.05.2021 erschienen.
Hajo Zenker: "Was ist denn in der Pandemie gut und was weniger gut gelaufen?"
Gabriele Regina Overwiening: "Was besonders gut funktioniert hat, ist die flächendeckende Versorgung über kleingliedrige Einheiten. Hier ist erneut der Beweis erbracht worden, wie flexibel, widerstandsfähig und kreativ die über 18 000 Apotheken sind. Als die Lieferungen von Desinfektionsmitteln ausblieben, haben wir Apotheken vor Ort innerhalb von Tagen das ganze Land mit selbst produzierten Mitteln versorgt. Auch das Anbieten und Durchführen von Schnelltests wurde schnell und gut etabliert. Nicht nur gut gelaufen ist die Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Ich bin Anhängerin des Föderalismus, aber in der Bekämpfung einer Pandemie hat er sich nicht nur als hilfreich erwiesen. Zum Teil gab es Partikularinteressen, die nicht dem großen Ganzen dienten."
Hajo Zenker: "Die Pandemie hat digitale Defizite aufgezeigt – weil es bisher kein E-Rezept, keinen E-Impfpass gibt. Wie sind die Apotheken in Sachen Digitalisierung aufgestellt?"
Gabriele Regina Overwiening: "Die Apotheken sind digitalisierungsfreundlich und zum großen Teil technisch schon gut vorbereitet auf das E-Rezept. Natürlich bleibt die Sorge: Was bedeutet das denn, wenn Rezepte elektronisch leichter andere Wege nehmen? Andererseits erhoffen wir uns bürokratische Entlastung. Keine fehlerhaften Verordnungen mehr, keine Stapel von Papierrezepten mehr zu den Krankenkassen tragen. Auch die Beratung der Kunden wird einfacher, wenn jeder seinen Medikationsplan im Smartphone hat."
Hajo Zenker: "Sie haben die Sorge vor einem Siegeszug der Versandapotheken ja schon angedeutet. Die Pandemie hat einerseits großen Online-Händlern geholfen, andererseits aber Botendienste von heimischen Dienstleistern, wie den Apotheken, befördert. Wie sehen Sie das?"
Gabriele Regina Overwiening: "Tatsächlich machen wir mehr Botendienste als zuvor, phasenweise 450 000 jeden Tag, ein Plus von 50 Prozent. Wir sind damit deutlich schneller als der Versandhandel. Der Botendienst ermöglicht zudem, bei der Übergabe des Medikaments noch individuelle Nachfragen zu stellen. In der Pandemie haben viele Bürger den Wert der Apotheke vor Ort als Versorger, als Ort, wo Experten helfen, wahrgenommen. Gleichzeitig ist klar: Bei den nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten kommt der Versandhandel auf einen Marktanteil von bald 20 Prozent. Ich frage mich, ob die Gesellschaft wirklich will, dass nur noch Preis, Bequemlichkeit und Anonymität beim Erwerb zählen. Der Patient muss doch wissen: Ist das für mich das richtige Arzneimittel? Falls nein, rät man mir auch vom Kauf ab? Und das machen Apotheken vor Ort jeden Tag. Damit verhindern und lösen sie Probleme. Wenn Medikamente aufgrund von Werbedruck bezogen werden, ist das für mich fahrlässig. Ich werde viel Arbeit investieren, um dieser Bagatellisierung, dieser Trivialisierung von Arzneimitteln entgegenzuwirken."
Hajo Zenker: "Neu in deutschen Apotheken sind Impfungen. Es gibt Pilotprojekte für Grippeimpfungen. Und Sie haben angeboten, Corona-Vakzin zu verimpfen. Warum soll man sich denn nicht in der Arztpraxis, sondern in der Apotheke impfen lassen?"
Gabriele Regina Overwiening: "Wichtig ist, dass die Menschen sich impfen lassen. Ob sie das nun eher in der Praxis oder in der Apotheke machen lassen, soll nicht in Konkurrenz erfolgen. Das oberste Ziel ist eine hohe Durchimpfungsrate. Es gibt Menschen, denen der Weg in die Arztpraxis nicht in den Alltag passt, ob wegen der Entfernung, wegen der Öffnungszeiten, oder weil sie eher spontan entscheiden wollen. In diesen Fällen macht es Sinn, ein niedrigschwelliges Angebot der Apotheken vor Ort zu nutzen – sowohl bei der Grippe als auch bei Corona. Das wird uns sicher dauerhaft beschäftigen."
Hajo Zenker: "Corona hat noch einmal klargemacht, wie abhängig wir von Asien sind – bei Mundschutz genauso wie bei Medikamenten. Die Politik will daran etwas ändern, heißt es. Haben Sie da Hoffnung?"
Gabriele Regina Overwiening: "Die Lieferengpässe sind seit Jahren ein großes Problem, das wir für die Patienten lösen mussten und müssen. Natürlich ist es richtig, auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Wenn es aber bei Arzneimitteln nur um niedrige Kosten geht, sind Lieferengpässe der hohe Preis, den wir am Ende dafür bezahlen. Die EU scheint aufgewacht, aber die Liste der Produkte, die in Europa hergestellt werden sollen, ist schon wieder sehr zusammengestrichen worden. Der Druck muss wohl noch erhöht werden."