Apothekenreform 2020
Die ABDA verfolgt als berufsständische Vertretung stets einen Dreiklang an Zielen: Ordnungspolitische Stabilität für die Apotheken vor Ort, Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung und die Schärfung des heilberuflichen Profils von Pharmazeuten. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg im Oktober 2016 hat die ordnungspolitische Dimension aber stark in den Vordergrund gerückt. Das Gericht hat entschieden, dass ausländische Versandapotheken die deutsche Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) nicht beachten müssen, wenn sie rezeptpflichtige Medikamente zu Patienten nach Deutschland schicken.
Es hat die damit die Praxis europäischer Versender bestätigt, von den einheitlichen Apothekenabgabepreisen für verordnete Arzneimittel durch die Gabe von Boni und Rabatten abzuweichen.
Der EuGH hat mit seiner Entscheidung eine Debatte über die Zukunft der Versorgung ausgelöst.
Die bundeseinheitliche Preisbindung für Medikamente auf Rezept ist neben der Apothekenpflicht, dem Fremd- und Mehrbesitzverbot und der Niederlassungsfreiheit einer der ordnungspolitischen Eckpfeiler der deutschen Arzneimittelversorgung. Dass eine Leistung für jeden Versicherten an jedem Ort zu den gleichen Bedingungen zu bekommen ist, ist ein Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung. Das EuGH-Urteil steht dazu im Widerspruch. Deshalb forderte die ABDA die Politik nach dem Verdikt umgehend zum Handeln auf – mit dem Ziel, die „Gleichpreisigkeit“ für alle Patienten uneingeschränkt wiederherzustellen.
Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe kündigte noch im Oktober 2016 eine Gesetzesinitiative an. Im Februar 2017 legte er einen „Referentenentwurf eines Gesetzes zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ vor. In ihrer Stellungnahme vom März 2017 begrüßte die ABDA dieses Vorhaben als das am besten geeignete Mittel, die AMPreisV zu schützen und die Gleichpreisigkeit wiederherzustellen. Bereits im November 2016 hatte der Bundesrat genau diese Maßnahme gefordert. Der Referentenentwurf wurde jedoch nicht vom Kabinett verabschiedet und nicht in den Bundestag eingebracht. Er scheiterte an den Bedenken anderer Ministerien und dem bereits aufkommenden Wahlkampf zur Bundestagswahl im September 2017.
Bis März 2017 wurden in mehr als 6.000 Apotheken rund 1,2 Millionen Unterschriften von Bürgern für den Erhalt und Schutz der wohnortnahen Apotheken vor dem ausländischen Versandhandel gesammelt. Im Mai 2017 wurden sie symbolisch an den Gesundheitsausschuss des Bundestages in Berlin übergeben. Der damalige Ausschussvorsitzende Dr. Edgar Franke (SPD) und sein Stellvertreter Rudolf Henke (CDU) nahmen die Dokumente von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in Empfang. Bei der Unterschriftenaktion „Gesundheitssystem in Gefahr“ hatten jeweils gut 4.000 Bürger in jedem der 299 Bundestagswahlkreise unterzeichnet.
Nach der Bundestagswahl und der schwierigen Regierungsbildung vereinbarten CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018: „Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.“ Allerdings blieben die Auffassungen zu dieser Maßnahme in Kabinett und Bundestag zwischen den Koalitionspartnern strittig. Auf dem Deutschen Apothekertag im Oktober 2018 in München erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Geltung der AMPreisV über andere Wege als das Versandverbot wiederherstellen zu wollen, da ihm eine solche Lösung als unzeitgemäß und europarechtlich bedenklich erscheine. Er diskutierte darüber intensiv mit den Delegierten.
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Bei einer ABDA-Mitgliederversammlung im Dezember 2018 präsentierte Minister Spahn den Apothekern seine ersten konkreten Vorschläge zur Zukunft der Arzneimittelversorgung. Sie sahen eine Begrenzung der Boni bei ausländischen Versendern auf 2,50 Euro pro Verschreibung und eine Begrenzung ihres Marktanteils in Deutschland auf fünf Prozent vor – für die Apothekerschaft keine ausreichenden Maßnahmen zur Stabilisierung der AMPreisV. Die Delegierten der Kammern und Verbände beschlossen daraufhin auf einer Mitgliederversammlung im Januar 2019 einstimmig ein eigenes Eckpunktepapier. Darin wurde gefordert, eine vollständige Gleichpreisigkeit mit geeigneten Mitteln durchzusetzen und im Bedarfsfall dazu auf ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel zurückzugreifen. Zugleich forderte die Apothekerschaft wirtschaftliche Verbesserungen bei defizitären Leistungen wie dem Nacht- und Notdienst und die Einführung honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen, die die Patientenversorgung verbessern, die pharmazeutische Kompetenz der Apotheken unterstreichen und den Apothekerberuf für den Nachwuchs wieder attraktiver machen.
Im März 2019 legte Minister Spahn ein weitereseigenes Eckpunktepapier vor, das im April 2019 in einen Referentenentwurf des BMG zu einem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) mündete. Darin war die Einführung pharmazeutischer Dienstleistungen und eine bessere Vergütung für Nacht- und Notdienste sowie für den Umgang mit Betäubungsmitteln vorgesehen. Einheitliche Abgabepreise für verordnete Arzneimittel sollten sozialrechtlich abgesichert werden – allerdings nur im Rahmen der GKV. Denn zugleich sah der Entwurf die Streichung von §78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz vor, der einheitliche Abgabepreise bei Privatrezepten vorsieht. Mit der Streichung wollte das Ministerium u.a. die Beendigung eines laufendes Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland erreichen.
Stellungnahme der ABDA zum Referentenentwurf eines Vor-Ort-ApothekenstärkungsG
Auf einer außerordentlichen ABDA-Mitgliederversammlung im Mai 2019 forderten die Delegierten abermals einstimmig den Gesetzgeber auf, die Einhaltung der Arzneimittelpreisverordnung auch für Privatversicherte bzw. Selbstzahler zu gewährleisten und von der Streichung des § 78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz zu verzichten.
Die turnusmäßige Mitgliederversammlung der ABDA im Juni 2019 legte ein abermaliges Bekenntnis zum vollständigen Erhalt der Gleichpreisigkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten ab. Zugleich wurde der Geschäftsführende Vorstand der ABDA ermächtigt, den Gesetzgebungsprozess weiter konstruktiv zu begleiten, um weitere Verbesserungen auch im parlamentarischen Verfahren von Bundestag und Bundesrat zu erreichen.
Im Juli 2019 hat die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluss zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) gefasst. Zugleich wurden einige Bestandteile der Reform in eine Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung ausgegliedert. Die Verordnung wurde mit der notwendigen Zustimmung des Bundesrates verabschiedet. Nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 21. Oktober 2019 ist die gemeinsame Verordnung von Bundesgesundheits- und Bundeswirtschaftsministerium inzwischen in Kraft getreten: die Apothekenbetriebsordnung wurde am Tag darauf geändert; die Arzneimittelpreisverordnung zum 1. Januar 2020. Der Botendienst der Apotheken vor Ort wurde liberalisiert und kann nun grundsätzlich allen Patienten angeboten werden. Durch höhere Zuschüsse für den Nacht- und Notdienst sowie für die Abgabe dokumentationspflichtiger Medikamente (z.B. Betäubungsmittel) werden die Apotheken darüber hinaus bei der Erfüllung ihrer Gemeinwohlpflichten gestärkt.
Beim verbliebenen VOASG-Paket handelt es sich um ein Einspruchsgesetz, das der Bundestag auch ohne Zustimmung des Ländergremiums beschließen kann. Nachdem der Bundesrat im September 2019 dennoch Änderungen empfohlen hatte, kam wenige Tage später Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Deutschen Apothekertag 2019 nach Düsseldorf, um das Reformpaket zu erläutern und Unterstützung dafür einzuwerben. Daraufhin wurde mit großer Mehrheit beschlossen: „Die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker spricht sich dafür aus, dass die Bundesregierung das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz schnellstmöglich in den Deutschen Bundestag einbringt. Die Apothekerschaft wird das Gesetz im parlamentarischen Prozess konstruktiv-kritisch begleiten.“ Zum Jahresbeginn 2020 wartete die Bundesregierung noch auf eine informelle Rückmeldung, wie die Europäischen Kommission das VOASG im Hinblick auf das EuGH-Urteil von 2016 bewertet. Ohne vorheriges Bekanntwerden dieser Bewertung hat das Bundeskabinett am 19. August 2020 seine Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates vom September 2019 beschlossen und somit den Weg für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren im Bundestag ab September 2020 freigemacht. Nach einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss am 16. September 2020 hat der Bundestag das VOASG nach 2./3. Lesung am 29. Oktober 2020 mit den Stimmen der Regierungsfraktionen beschlossen. Da das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, stand seinem Inkrafttreten zum Jahreswechsel damit nichts mehr im Wege.