36/13 Information: Bedenkliche Rezepturarzneimittel

InformationBedenkliche Rezepturarzneimittel
Stand: September 2013 AMK / Das Arzneimittelgesetz verbietet es, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder am Menschen anzuwenden (AMG Paragraf 5 Absatz 1). Die Bedenklichkeit ist gegeben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass nach dem jeweils aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen auftreten können, die über ein vertretbares Maß hinausgehen. Die Frage nach der Bedenklichkeit stellt sich den Apotheken vor allem dann, wenn Rezepturarzneimittel verordnet werden.
Apotheker und Apothekerinnen sind einerseits verpflichtet, die Abgabe bedenklicher Rezepturarzneimittel abzulehnen, haben aber andererseits nach Paragraf 17 Absatz 4 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ärztliche Verschreibungen in angemessener Zeit auszuführen („Kontrahierungszwang“). Die höherrangige Norm des Gesetzes (AMG) hat hier aber Vorrang vor dem Verordnungsrecht (ApBetrO). In der Praxis treten hier häufig Unsicherheiten auf, denen mit der Anwendung der aktualisierten AMK-Empfehlungen zur Beurteilung von Rezepturarzneimitteln (siehe Kasten) begegnet werden kann. Außerdem aktualisiert die AMK seit 2001 zur Unterstützung der Apotheken periodisch eine Liste bedenklicher Stoffe beziehungsweise Rezepturen (siehe Tabelle). Diese Liste ist indessen keine juristisch verbindliche Festlegung, denn hierfür fehlt der AMK die gesetzliche Legitimation. Darüber hinaus kann eine solche Liste nie vollständig sein, denn es ist nicht vorhersehbar, welche Stoffe zum Beispiel in der alternativen Medizin einmal rezeptiert werden. Die Bedenklichkeit eines Rezepturarzneimittels im Einzelfall kann in der Regel nur durch eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung beurteilt werden. Dabei müssen individuelle Gegebenheiten des Patienten ebenso einbezogen werden wie Indikation, Applikationsart, Dosierung, Konzentration und weitere angewandte Arzneimittel. Die individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung sollte vom Apotheker und Arzt gemeinsam vorgenommen werden. In die Liste der bedenklichen Stoffe beziehungsweise Rezepturen wurden Stoffe und pflanzliche Drogen, die in einem Rezepturarzneimittel zur Anwendung am Menschen vorgekommen sind oder vorkommen könnten, nach folgenden Kriterien aufgenommen:

  • Eine maßgebliche Zulassungsbehörde hat den Stoff oder die Zubereitung als bedenklich eingestuft.
  • Die Zulassungen entsprechender Fertigarzneimittel wurden widerrufen oder ruhen.
  • Nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse ist die Anwendung auf Grund von Risiken bedenklich beziehungsweise nicht vertretbar.

Nach Paragraf 7 der seit Juni 2012 geltenden ApBetrO muss jede Rezeptur vor der Anfertigung auf Plausibilität geprüft und das Ergebnis dokumentiert werden, damit das Therapieziel ohne nicht vertretbare Risiken für den Patienten erreicht werden kann. Genaueres hierzu ist der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) zur Qualitätssicherung „Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmten Rezeptur- und Defekturarzneimittel zu entnehmen. Die BAK-Leitlinie ist über die Homepage der ABDA (https://www.abda.de/fuer-apotheker/qualitaetssicherung/leitlinien/) abrufbar.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat diese AMK-Nachricht zustimmend zur Kenntnis genommen. Diese AMK-Nachricht ist auch auf der Homepage der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de) verfügbar. / AMK-Empfehlungen zur Beurteilung von Rezepturarzneimitteln (Stand September 2013)

  • Eine Grundvoraussetzung für die Anfertigung einer Rezeptur ist die pharmazeutische Qualität. Kann diese, zum Beispiel bei den Ausgangsstoffen, nicht sicher gestellt werden, weil weder eine Prüfvorschrift noch ein Prüfzertifikat nach Paragraf 6 ApBetrO vorliegen, darf das Arzneimittel nicht angefertigt und nicht abgegeben werden, denn Paragraf 8 Absatz 1 AMG verbietet es „Arzneimittel ... herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind….“
  • Liegt eine veröffentlichte Stellungnahme einer Zulassungsbehörde vor, die das fragliche Rezepturarzneimittel als bedenklich einstuft, darf das Arzneimittel nicht angefertigt und nicht abgegeben werden.
  • Die Zulassungen von Fertigarzneimitteln mit einem bestimmten Wirkstoff wurden widerrufen oder ruhen auf Grund ungeklärter Risiken, sind also nicht verkehrsfähig: Das Arzneimittel darf weder als Rezeptur- noch als Defekturarzneimittel angefertigt oder abgegeben werden.
  • Vorbehalte wegen Daten zu Risiken in der Literatur oder wegen unzureichender Daten (Stoff, Stoffkombination, Dosierung, Konzentration, vorgesehene Indikation):
    - Rezepturen dieser Art können nur Mittel der ferneren Wahl sein. Die AMK rät von der Abgabe ohne ärztliche Verschreibung und der defekturmäßigen Herstellung dringend ab.
    - Die Apotheke soll sich beim Arzt über die Hintergründe der Verordnung informieren und ihm ihre Vorbehalte möglichst anhand der vorhandenen Literatur erläutern.
    - Apotheker und Arzt sollten anhand der Literaturdaten gemeinsam den zu erwartenden Nutzen und die möglichen Risiken für den individuellen Patienten bewerten; Therapiealternativen sollen erwogen werden. Bewertet einer der Beteiligten (Apotheke/Arzt) das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ, so soll die Rezeptur nicht angefertigt werden. Die Apotheke sollte die Ergebnisse der Nutzen-Risiko-Bewertung in jedem Fall dokumentieren.

Tabelle: Stoffe/Rezepturen die zur Anwendung beim Menschen von der AMK als bedenklich eingestuft werden (Stand September 2013). Steht ein Stoff nicht in der Liste, so ist daraus nicht generell zu schließen, dass er unkritisch in Rezepturen verarbeitet werden darf. Spagyrische Zubereitungen sind generell nicht als bedenklich anzusehen, da die Drogen bei der Herstellung nach den Vorschriften 25 und 26 des HAB verascht werden.
* Die angegebenen Quellen sind überwiegend über die Homepage der AMK (www.arzneimittelkommission.de) im Mitgliederbereich abrufbar.

Rezepturarzneimittel

 

 

 

Risiko

 

 

 

Quelle*

 

 

 

Amygdalin: siehe Mandelonitril

 

 

 

Aristolochiasäure-haltige Drogen (alle Drogen der Gattungen Aristolochia und Asarum)

 

ausgenommen Homöopathika ab D10

 

 

 

 

 

kanzerogen (multiple Karzinome)

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 126 (1981), Seite 1201 und 1373 und 155 (2010), Seite 102

 

 

 

Amine, aliphatische

 

 

 

unvermeidliche Nitrosamin-Bildung

 

 

 

Pharm. Ztg. 132 (1987), Seite 2375

 

 

 

Arnikablüten zum Einnehmen

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

Dyspnoe, Tachykardie und Kollaps, Gastroenteritis

 

 

 

z. B. in Lindequist, U. et al.; Biogene Gifte, WVG, Stuttgart 3. Aufl. 2010

 

 

 

Bärenklau: siehe Heracleum-Arten

 

 

 

Barbiturate: siehe Bromide und Barbiturate

 

 

 

Benzol

 

ausgenommen Homöopathika ab D6

 

 

 

 

 

myelotoxisch, kanzerogen

 

 

 

Whysner, J. et al.; Genotoxicity of benzene and its metabolites. Mutat. Res. 566 (2004), 99-130

 

 

 

Borsäure sowie deren Ester und Salze

 

ausgenommen Mineralwässer und Puffer in Augentropfen,

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

 

 

mangelhafte Wirksamkeit, resorptive Vergiftungen

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 3834

 

 

 

Bromide und Barbiturate in Kombination

 

als Sedativum

 

 

 

 

 

kumulative Anreicherung von Bromiden/Barbituraten

 

 

 

Information des BfArM; Pharm. Ztg. 141 (1996), Seite 4839

 

 

 

Bufexamac

 

 

 

häufige Kontaktallergien

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 155 (2010), Seite 119

 

 

 

Calomel: siehe Quecksilber(I)-chlorid

 

 

 

Cäsiumsalze (in der alternativen Krebstherapie)

 

 

 

lebensbedrohliche Arrhythmien

 

 

 

WHO Drug Information 23 (2009), Seite 290

 

 

 

Chelidonii herba, radix, Chelidonin: siehe Schöllkraut

 

 

 

Chloroform

 

 

 

hepato-, nephrotoxisch, kanzerogen

 

 

 

Pharm. Ztg. 126 (1981), Seite 2616

 

 

 

Chrom(VI)-Verbindungen

 

 

 

kanzerogen

 

 

 

Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 800

 

 

 

Chrysanthemum vulgare: siehe Rainfarn

 

 

 

Crotonöl

 

 

 

stark hautreizend, kokarzinogen

 

 

 

z. B. in Aktories, K. et al. (Hrsg.); Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Urban & Fischer, München, 10. Aufl. 2009

 

 

 

Diethanolamin: siehe Amine, aliphatische

 

 

 

Epinephrin und seine Salze, hochkonzentriert (> 1 ‰) zur Blutstillung im Dentalbereich

 

 

 

systemische kardiovaskuläre Reaktionen

 

 

 

Zulassungswiderruf, Bundesgesundheitsbl. 30 (1987), Seite 154

 

 

 

Formaldehyd

 

in Gynäkologika und in Konzentrationen über 0,2 %

 

ausgenommen zahnärztliche Arzneimittel

 

 

 

 

 

 

 

schwere allergische Reaktionen, Kontaktekzeme, Haut- und Schleimhautschäden, kanzerogen

 

 

 

Pharm. Ztg. 131 (1986), Seite 290

 

 

 

Furfurol

 

 

 

kanzerogen

 

 

 

Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 3088

 

 

 

Germanium-Verbindungen

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

nephrotoxisch, myotoxisch, neurotoxisch

 

 

 

Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 3495

 

 

 

Heracleum-Arten (Bärenklau)

 

ausgenommen Homöopathika

 

 

 

 

 

stark phototoxisch (Furocumarine)

 

 

 

z. B. in Lindequist, U. et al.; Biogene Gifte, WVG, Stuttgart 3. Aufl. 2010

 

 

 

Hydrargyrum chloratum: siehe Quecksilber(I)-chlorid

 

 

 

Hydrargyrum oxydatum: siehe Quecksilber(I)-chlorid

 

 

 

Hydrazin

 

 

 

Krampfgift, kanzerogen, neurotoxisch, hepatotoxisch pneumotoxisch

 

 

 

Hainer, M.I. et al.; Fatal hepatorenal failure associated with hydrazine sulfate. Ann. Intern. Med. 133 (2000), 877-880

 

 

 

Immergrünkraut (Vinca minoris herba)

 

ausgenommen Homöopathika ab D2

 

 

 

 

 

Verdacht auf Blutbildschäden bei nicht belegter Wirksamkeit

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 132 (1987), Seite 1826

 

 

 

Jaborandiblätter

 

ausgenommen Homöopathika ab D3

 

 

 

 

 

nicht steuerbare parasympathomimetische Wirkung durch Pilocarpin (Vergiftungen)

 

 

 

z. B. in Lindequist, U. et al.; Biogene Gifte, WVG, Stuttgart 3. Aufl. 2010

 

 

 

Juniperus sabinae: siehe Sadebaumspitzen

 

 

 

Kavakava und Kavain

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

hepatotoxisch

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 2588

 

 

 

Krappwurzel

 

ausgenommen Homöopathika

 

 

 

 

 

kanzerogen

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 138 (1993), Seite 834

 

 

 

Laetrile: siehe Mandelonitril

 

 

 

Mandelonitril und Mandelonitril-Glykoside (auch Bittermandelwasser DAB 6)

 

 

 

Cyanidintoxikation

 

 

 

Pharm. Ztg. 123 (1978), Seite 1537

 

 

 

Naphthalin

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

hämolytische Anämie, Methämoglobinbildung, tödliche Vergiftungen bei Kindern durch Inhalation und topische Anwendung

 

 

 

NTP: Naphthalene. Rep. Carcinog. 12 (2011), 276-278

 

 

 

2-Naphthol (auch äußerlich)

 

 

 

kanzerogen

 

 

 

Orjuela, M.A. et al.; Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 21, 7 (2012), 1191-1202

 

 

 

Petroleum

 

zum Einnehmen

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

 

 

narkotische Wirkung, Reizung von Haut und Schleimhaut

 

 

 

Pharm. Ztg. 147 (2002), Seite 4702

 

 

 

Phenacetin

 

als Wirkstoff

 

 

 

 

 

nephrotoxisch

 

 

 

Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 1882

 

 

 

Phenol

 

zur Anwendung auf Haut und Mundschleimhaut

 

ausgenommen Spezialanwendungen, bei denen Phenol jeweils nur einmal beziehungsweise in geringer Menge angewandet wird (Sklerosierung, Peeling, Nagelextraktion)

 

ausgenommen Homöopathika

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Methämoglobinbildung, Krampfgift, Reizung von Haut und Schleimhäuten

 

 

 

Negativmonographie, Pharm. Ztg. 143 (1997), Seite 4103 und 4386

 

 

 

Pilocarpus: siehe Jaborandiblätter

 

 

 

Piper methysticum: siehe Kavakava

 

 

 

Pyrrolizidinalkaloid-haltige Drogen (Alkanna, Anchusa, Borago, Brachyglottis, Cineraria, Cynoglossi herba, Erechthites, Eupatorium außer E. perfoliatum, Heliotropium, Lithospermum, Petasitidis folium, Senecionis herba, Tussilago farfara außer Blättern und Wurzeln)

 

 

 

hepatotoxisch, kanzerogen

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. 137 (1992), Seite 1964 und 2470

 

 

 

Quecksilber(I)-chlorid

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

mutagen, teratogen, nephrotoxisch, neurotoxisch

 

 

 

Negativmonographie, Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 4558

 

 

 

Quecksilber(II)-oxid

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

mutagen, teratogen, nephrotoxisch, neurotoxisch

 

 

 

Negativmonographie, Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 4558

 

 

 

Rainfarnkraut, Rainfarnblüten, Rainfarnöl

 

zum Einnehmen

 

ausgenommen Homöopathika

 

 

 

 

 

 

 

stark neurotoxisch durch Thujon, nicht belegte Wirksamkeit

 

 

 

Negativmonographie, siehe Pharm. Ztg. 139 (1994), Seite 154

 

 

 

Rubia tinctorum radix: siehe Krappwurzel

 

 

 

Sadebaumspitzen (Juniperus sabinae)

 

ausgenommen zur externen Anwendung

 

ausgenommen Homöopathika ab D4

 

 

 

 

 

 

 

schwere Vergiftungen nach Einnahme als Abortivum

 

 

 

z. B. in Lindequist, U. et al.; Biogene Gifte, WVG, Stuttgart 3. Aufl. 2010

 

 

 

Schlankheitsrezepturen mit mehreren stark wirksamen Bestandteilen wie Appetitzügler, Diuretika, Schilddrüsenhormone oder Antidiabetika

 

 

 

unkalkulierbare Effekte, Todesfälle durch derartige Rezepturen

 

 

 

Pharm. Ztg. 140 (1995), Seite 3032

 

 

 

Schöllkraut

 

wenn eine Tageshöchstdosis von 2,5 mg Gesamtalkaloiden, berechnet als Chelidonin, nicht gewährleistet ist

 

 

 

 

 

hepatotoxisch

 

 

 

Zulassungswiderruf, Pharm. Ztg. Nr. 16 (2008), Seite 133-134

 

 

 

Triethanolamin: siehe Amine, aliphatische

 

 

 

Vinca minoris herba: siehe Immergrünkraut

 

 

 

Vitamin B17: siehe Mandelonitril