Schwere Hautreaktionen durch Allopurinol
In einer Drug Safety Mail vom 7. September 2009 informiert die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) über das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die Toxisch-epidermale Nekrolyse (TEN, früher auch Lyell-Syndrom), schwere Arzneimittelreaktionen der Haut, die sehr selten auftreten, aber mit einer hohen Letalität einhergehen. Beide Krankheiten werden als unterschiedliche Ausprägung der selben Krankheitsentität aufgefasst. Beim SJS betrifft die Epidermisablösung weniger als 10 Prozent der Körperoberfläche, bei der TEN sind mehr als 30 Prozent betroffen; zwischen 10 Prozent und 30 Prozent spricht man von der SJS/TEN-Übergangsform.
Das EuroSCAR-Projekt (SCAR: severe cutaneous adverse reactions) ist eine Fall-Kontroll-Studie zu schweren Arzneimittelreaktionen der Haut, an der Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Niederlande und Österreich beteiligt waren. Ausgewertet wurden 379 Patienten, die zwischen 1997 und 2001 wegen SJS/TEN stationär aufgenommen worden waren. Am häufigsten mit SJS/TEN assoziiert war Allopurinol (66), gefolgt von Carbamazepin (31), Cotrimoxazol (24), Nevirapin (21), Phenobarbital (20), Phenytoin (19) und Lamotrigin (14). Das Risiko unter Allopurinol war bei Einnahme von mehr 200 mg täglich deutlich höher als bei niedrigeren Dosen. Das erhöhte Risiko beschränkte sich auf Patienten, die innerhalb von acht Wochen vor Beginn der Hautreaktion erstmals Allopurinol erhalten hatten. Wurde Allopurinol bereits über eine längere Zeit eingenommen, war das Risiko nicht erhöht.
In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand Juli 2009) sind 903 Verdachtsberichte unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu Allopurinol erfasst. Davon beziehen sich 303 auf SJS/TEN, in 93 Fällen mit tödlichem Ausgang. Die Fallberichte stammen im Wesentlichen vom Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen (dZh), das seit 1990 alle hospitalisierten Fälle von SJS/TEN in Deutschland erfasst und diese an das BfArM weitergibt. Bei den meisten Meldungen war allerdings mehr als ein Arzneimittel in Verdacht.
Die Autoren der EuroSCAR-Studie vermuten eine Tendenz zur unkritischen Anwendung von Allopurinol bei asymptomatischer Hyperurikämie, da im Vergleich zu der von 1989 bis 1995 durchgeführten Vorläuferstudie SCAR die Expositionen mit Allopurinol bei den eingeschlossenen Patienten um Faktor 2 bis 3 zugenommen haben. Diese führe nach Hochrechnung der Daten auf die gesamte europäische Bevölkerung zu etwa 100 zusätzlichen, vermeidbaren Fällen von SJS/TEN, davon schätzungsweise 30 mit Todesfolge. Der Arzneiverordnungsreport bestätigt eine Zunahme der Verordnungen: Die Zahl der verordneten DDD war 2007 etwa 38 Prozent höher als 1997.
Allopurinol ist zugelassen bei Hyperurikämie mit Serum-Harnsäurewerten ab 8,5 mg/dl sofern eine Diät nicht ausreicht bzw. klinischen Komplikationen der Hyperurikämie. Noch ist unklar, ab welchem Serum-Harnsäurewert die medikamentöse Behandlung sinnvoll ist. Empfohlen wird sie derzeit bei Serum-Harnsäurewerten von über 9 mg/dl. Weitere Indikationen sind sekundäre Hyperurikämien unterschiedlicher Genese.
Allopurinol soll nicht unkritisch bei leicht erhöhten, asymptomatischen Harnsäurewerten angewandt werden. Die Dosis von Allopurinol ist möglichst niedrig zu wählen. Die Patienten sollen über die Symptome aufgeklärt werden, die auf eine schwere Hautreaktion hindeuten. Zu diesen zählen Fieber, Augenbrennen, Schluckbeschwerden und Hautläsionen am Stamm. Bei Verdacht auf SJS oder TEN sollen behandelnde Ärzte rasch das dZh an der Universitäts-Hautklinik Freiburg kontaktieren, Telefon (07 61) 2 70 67 23, E-Mail: dzh@uniklinik-freiburg.de.
Apotheken können Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen über den Online-Berichtsbogen an uns melden.
Quelle:
www.akdae.de/20/20/Archiv/2009/20090904.html
PZ 37/09